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Gondwana
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Jau, gestern war´s dann soweit. Man vermeidet es nach Möglichkeit, aber irgendwann, oft das nächste Mal erst nach Jaaahren - - - passiert es dann doch wieder ...


Um die Mittagszeit klingelte es an der Haustür. Da ich niemanden erwartete, lief ich die 2 km ;-) über den Flur und öffnete die Badezimmertür; weil von dort aus ein Fenster den Blick auf den Eingangsbereich freigibt. Natürlich wollte ich gucken, wer da klingelte (mittlerweile schon zum zweiten Mal). An der Strasse stand der Paketwagen und ich beeilte mich, lief schnell die Treppe hinunter ...
Im Laufen versuchte ich die untersten Knöpfe meines Hemdkleides zu schließen, da es mir allzu offenherzig (offenbeinig :D) erschien. Weil ich dazu beide Hände brauchte, versäumte ich, den Haustürschlüssel mitzunehmen, wie es sonst IMMER meine Art ist, aber bisher war in dieser Wohnung noch nie die Tür zugefallen, also ...

Auf den letzten Stufen nach unten bemerkte ich schon den Luftzug, der mir den dünnen Stoff meines Gewandes nach oben wehte. Huch! Indem ich die Haustür öffnete, hielt mir der Paketbote ein Päckchen entgegen, fragte nach dem Namen: "Ist das Ihr Sohn!" - "Ja." Eine Lieferung von irgendeinem Musikversand, die per Nachnahme bezahlt werden sollte. Mein Sohn war über Nacht gar nicht zu Hause gewesen, hatte mir aber eine Mail geschrieben, er käme erst am nächsten Tag spät zurück.


Dann hörte ich das Knallen. Und fragte den Paketmann unsinnigerweise, ob das wohl meine Tür gewesen sei. Schnell lief ich nach oben, aber ich wußte es schon, bevor ich es sah. Ja.


Resigniert und sehr langsam ging ich wieder die Treppe hinunter, beteuerte, daß ich sonst IMMER den Schlüssel mitnehmen würde und daß die Tür noch nie zugeschlagen wäre. Der freundliche Zusteller bot mir an, meine Telefonnummer zu wählen, um meinen Freund zu wecken, der um die Uhrzeit nach seiner Nachtschicht noch im tiefen Schlummer lag. Mit Ohrstöpseln natürlich. Derzeit ist auf dem Nachbargrundstück eine Baustelle und den ganzen Tag dröhnt der Bagger ...
Ich klingelte ca. 100x an der Tür, hämmerte verzweifelt dagegen und hörte das Telefonbimmeln, aber es war mir die ganze Zeit bewußt: mein Freund wird nicht aufwachen.


:-(


Tja. Also konnte ich das Päckchen auch nicht bezahlen. Geld lag ja IN der Wohnung. Etwas ratlos und auch betroffen, da ich ohne sein Klingeln ja nicht in diese dumme Situation gekommen wäre, bot mir der Paketmann an, nach einer halben Stunde nochmal wiederzukommen. Sehr nett. Aber ich meinte, bis dahin hätte sich wohl noch nicht viel verändert, fragte ihn noch nach der Uhrzeit und wir verabschiedeten uns für´s erste.


Es war also 13:05 Uhr und erfahrungsgemäß schlief mein Freund bis ca. 15 Uhr. Ich hoffte inständig, er möge nur einmal schon um 14 Uhr wach werden und startete noch eine vergebliche Klingelaktion, bevor ich mich auf der obersten Treppenstufe niederließ.


Ganz kurz zog ich in Erwägung zu einer Bekannten zu gehen, die einen Fußweg von 10 Minuten entfernt wohnt, verwarf das aber recht schnell; weil ich nicht entsprechend gekleidet war. Ansich bin ich da gar nicht so, nur ausgerechnet heute hatte ich nach Jahrzehnten mal wieder dieses schwarz-weiß-gestreifte, schon ziemlich verschossene Hemdkleid angezogen, was ich schon seit einem Vierteljahrhundert besitze. Insgeheim nenne ich es mein Sträflingskleid, wegen dem Muster. Letzte Woche war es mir beim Schrankaufräumen in die Hände gefallen und ich dachte: 1x ziehe ich es noch an und dann kommt es in die Kleidersammlung.

Schuhe hätte ich reichlich zur Auswahl gehabt, unsere Garderobe befindet sich nämlich vor der Wohnungstür. Was sich auch als äußerst praktisch erwies, da mir nach kurzer Zeit schon im wahrsten Sinne des Wortes a....kalt wurde; denn die Marmorstufen waren ja nicht gerade warm. Also nahm ich mir eine Jacke als Unterlage.


Dann saß ich da. Mein Blick fiel auf zwei Paar meiner Schuhe, die ich schon sehr lange habe, dasselbe Paar - einmal in schwarz, einmal in braun. Die schwarzen hatte ich viel öfter angehabt und sah nun, daß die Sohle nur noch halb so dick war wie bei den braunen. Erstaunlich!


Als ich auch noch Eisbeine bekam, nahm ich meine dicke Winterjacke und zog die Ärmel über die Füße ... nicht bevor ich noch einmal einen Klingelsturm veranstaltete, mit rufen und klopfen. Die Haustür unten hatte ich offengelassen, um frische Luft zu bekommen. Irgendwann dachte ich: jetzt muß aber der Paketmann bald wiederkommen, ist doch sicherlich schon eine halbe Stunde vergangen. Uhr hatte ich ja nicht. Aber er kam nicht.


Viel viel später dann hörte ich den Postlieferwagen und als er unten in der Tür erschien, fragte ich ihn als erstes, ob JETZT ERST eine halbe Stunde vergangen sei?? Nein, es war schon 14:05 Uhr. Boah.


Zwischendurch hatte ich mir überlegt, ich könne in der Zeit doch wenigstens diese Geschichte hier aufschreiben und so fragte ich ihn, ob er einen Stift und Papier hätte. Er verstand nicht wofür, also antwortete ich ihm, daß ich meine Memoiren schreiben wollte. War ein trockener Typ ohne Humor. Schenkte mir aber seinen gelben Postkugelschreiber. Der liegt jetzt neben mir. Na, ich bin natürlich längst wieder in der Wohnung :-). Zwar mit Nervenschmerzen am rechten Bein, aber mittlerweile mit dicken Socken.


Das Kleid habe ich aber immer noch an!
Beitrag 07.06.2008, 12:01

Gondwana
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Beitrag 07.06.2008, 12:02