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Forum - Kurze Geschichten
Das (tapfere) Schneiderlein

Gondwana
Künstler



Nach meinem ersten Urlaub in Schottland malte ich ein Bild mit einem schottischen Motiv. Darauf ist ein See mit einem verlassenen alten Haus aus Bruchsteinen zu sehen und eine große Wiese beherrscht den Vordergrund. Die Wiese war mir farblich nicht gelungen und überhaupt sah sie meines Erachtens sehr unecht aus. Ich wollte das fertige Bild schon zerreissen, als das Telefon klingelte. Eine Freundin war dran. Sie bemerkte meinen frustrierten Unterton und ich erzählte ihr von der mißlungenen Aktion. Weil sie selber auch malte konnte sie meinen Unmut darüber gut nachvollziehen. Wir verabredeten uns dann für denselben Abend bei mir und sie bat mich, das Bild noch angucken zu dürfen, also gab ich nach und lehnte es im Wohnzimmer unten an einen Schrank.


Als meine Freundin das Bild sah, rief sie aus: "Nein, nicht wegschmeissen, die Wiese sieht doch wunderbar aus, ich weiß gar nicht, was Du hast?!" "Naja", dachte ich "sie will mich halt trösten und lobt es deswegen, aber ernstgemeint kann das nicht sein" und ich sagte zu ihr: "Das ist nett von Dir, aber glaubst Du ernsthaft, ein Tier würde sich auf dieser Wiese wohlfühlen ...?" Doch sie blieb dabei, fand es weiterhin schön und wir gingen dazu über uns bei einem Gläschen Wein das Neueste aus unserem Leben zu erzählen.


Geraume Zeit später fielen unsere Blicke gleichzeitig nochmal auf das Bild. Dort hatte sich inzwischen eine langbeinige Spinne, Schnake oder Schneider im Volksmund genannt, genau auf der gemalten Wiese vor dem Bruchsteinhaus niedergelassen. Zunächst waren wir einen Moment lang sprachlos; dann folgte ein Lachanfall und als der Schneider nach einer Stunde immer noch dort saß, meinte meine Freundin, am besten wäre es doch, das Tier irgendwie auf dem Bild zu fixieren, da es nun zu einem Teil dieses Gesamtkunstwerkes geworden war. Ich gebe zu, da hatten wir schon einige Gläser intus ...


Nein, wir haben natürlich nichts dergleichen getan, obwohl sie drauf und dran war, dem Schneider eins mit der in ihrer Handtasche befindlichen Haarspraydose überzusprühen. Zum Glück hatte ich rechtzeitig die Idee den tierischen Besuch auf einem Photo zu verewigen.


Nachdem sie gegangen war hatte ich Skrupel das Bild zu entsorgen; denn das Schneiderlein saß ja dort - immer noch an derselben Stelle. Ausserdem fand ich es nun gar nicht mehr so übel, fühlte mich zugegebenermaßen auch ein wenig geehrt, daß jemand gern auf meiner gemalten Wiese saß und beflügelt vom Wein wünschte ich mir, es möge noch lange so bleiben. Dann sagte ich Gute Nacht und ging ins Bett.


Am nächsten Morgen bot sich mir kein schöner Anblick. Das Schneiderlein hatte zwei Beine verloren, die auf dem Teppich vor dem Bild lagen und machte selbst auch keinen guten Eindruck mehr. Im Laufe des nächsten Tages fiel dann irgendwann sein gesamter Körper auch noch runter und er lag leblos unten. Direkt vor der Wiese, wo er seine letzten Stunden verbracht hatte.





Das liegt nun schon ein paar Jahre zurück. Vor kurzem habe ich das Bild eingerahmt und an die Wand gehängt, da fiel mir diese Geschichte wieder ein ...




Hier das Photo (ursprünglich ein Dia):


Beitrag 07.02.2008, 08:53

Gondwana
Künstler



Dankeschööön, Eizilein! Very Happy
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Wake up ... you´re not dreaming!
Beitrag 11.02.2008, 17:09