Suchen Künstler Profil News Login
  
Forum - Kurze Geschichten
Familienrückführung

Gondwana
Künstler



Es war an einem Tag wie heute, im Frühling vor 10 Jahren. Mein damals 8jähriger Sohn spielte draussen mit der Nachbarstochter Annika, seiner Schulfreundin. Ein Mädchen, das ich sehr gern mochte, mit so ganz dicken langen Zöpfen.

Die beiden fanden einen wirklich winzigen Vogel, der durch einen Rost über dem Kellerschacht des Hauses, in dem wir wohnten, gefallen war. Annika befreite ihn, aber oben auf dem Bürgersteig hüpfte er ihr aus der Hand und verkroch sich schnell unter einer großen Mülltonne.

Das war der Moment, in dem ich eingeschaltet wurde Cool. Ich fand einen Karton und gemeinsam mit der Hilfe meines damaligen Freundes schaffte ich es dann, den Kleinen dort hinein zu setzen. Und da sah ich auch, daß er wohl die nächste Nacht nicht überleben würde, denn sein Kopf hing schon kraftlos nach vorn herunter, - das ist kein gutes Zeichen bei einem Vogel.

Den Karton stellte ich auf den Küchentisch, holte etwas Moos und Gras, halt Grünzeugs aus dem Garten und versuchte eine so heimelige Athmosphäre wie nur möglich zu schaffen. Ich fand noch ein altes Fläschen mit Ohrentropfen, wusch es aus, und wollte ihm mit der Pipette etwas Wasser einträufeln. Das ging gar nicht! (... heute weiß ich auch, daß Vogelkinder von ihren Eltern kein Wasser bekommen, sondern daß genügend Flüssigkeit in der Nahrung, die sie bekommen, enthalten ist. Eine typisch menschliche Reaktion!)

Abends kamen Freunde aus Bremen zu Besuch, und wir haben später noch manchmal darüber gelacht, wenn wir daran dachten, wie wir im Dunkeln mit so einer funzeligen Taschenlampe die Platten des kompletten Gartenwegs hochgenommen haben, um als einzige Ausbeute einen Engerling zu finden! Ich habe es heute noch im Ohr, wie euphorisch Sonja schrie: "ICH HAB´ EINEN ENGERLING!!! CHAKA!!!!!!" Den hat er gefressen, der Kleine Very Happy. Und wir alle bekamen an diesem Abend eine gewisse Hochachtung für Vogeleltern im allgemeinen.

Ein Bekannter, der angelte, hatte noch ein Leberwurstglas voller Maden im Kühlschrank stehen. Tja, und damit habe ich dann Piepsi, so nannte ich ihn nach kurzer Zeit, weil er alle 20 Minuten Hunger verspürte und dann piepste, gefüttert. Wobei ich anfangs in einen Gewissenskonflikt geriet: den Einen rette ich und den Anderen verfüttere ich ... da mußte ich mich entscheiden, tat ich natürlich zugunsten dessen, der Augen hat. Die Maden zu verfüttern, das kostete mich auch erst einige Überwindung! Die erste Nacht, die Piepsi in unserer Wohnung verbrachte, war eine Nacht von Samstag auf Sonntag und am nächsten Tag waren mein Freund P. und dann Annika zum füttern da. Mein Sohn war nicht interessiert an Tieren und deren Wohlergehen Confused, also kein geneigter Fütterer, genauso wenig wie ich, aber aus o.g. Gründen. Montags dann mußte ich dann ja füttern, auch die Würmer ... Am Wochenende hatte ich nur den Part für Apfel und hartgekochtes Ei übernommen ...

... ich fasste das Glas, in dem es schon ganz nett wimmelte mit einem Papiertuch an Shocked, blöd was? Frauen eben. Ekeln sich vor sowas. Hat sich bei mir nach dem Erlebnis, was ich jetzt erzählen möchte, aber sehr geändert. Es gibt doch diese selbsterfüllende Prophezeiungen ... nicht nur positive ... - ... ich schraubte also den Deckel des Leberwurstglases auf und machte das sehr sehr bedächtig; denn ich hatte zuvor eine kurze Vision gehabt, wie mir das Glas aus der Hand rutscht, hinfällt und die Würmer auf dem Boden in alle Richtungen krabbelten. Das geöffnete Glas hielt ich auch sicher in den Händen, wirklich, es gab gar keinen Anlass zum runterfallen, kein Krampf in der Hand und ich hab´ mich auch vor nichts erschrocken, --- es fiel einfach runter! *heul*. Ich fing sie alle wieder ein, jeden einzeln mit einer Pincette, dabei war mein Kopf völlig leer. Das füttern war dann nur noch eine Kleinigkeit.

Piepsi hatte zwei sehr kritische Tage, dann ging es zusehends bergauf mit ihm. Von einer Freundin bekam ich einen alten Wellensittichkäfig und setzte ihn dort hinein, als er allmählich ein wenig mobiler wurde. Und schon am nächsten Tag saß er, zwar mit noch sehr wackeligen Beinen, auf einer Stange. Er forderte dann alle 15 Minuten eine Made, Ei und Apfel, schlief für einen kurzen Moment ein und piepste sofort nach dem Aufwachen, um die nächste Mahlzeit einzufordern.

Nach weiteren drei Tagen war ich wie erschlagen, meist mittags noch im Bademantel, weil ich´s nicht schaffte, mich zwischendurch anzuziehen ... Nachts schlief er gottseidank 4-5 Stunden durch und P., der schon um 6 Uhr auf der Arbeit sein musste, übernahm die Frühschichten. Nachmittags wurde ich manchmal von Annika abgelöst, der es aber auch schnell langweilig wurde.

So nach fünf Tagen fingen die Maden an, sich zu sehr zu verpuppen und das ekelte Piepsi irgendwie an. Da bin ich in die Zooabteilung gefahren (unter enormem Zeitdruck, schweißgebadet, das schreiende Vogelkind zuhause) und habe eine Papiertüte voller Mehlwürmer gekauft. Die legte ich auf den Beifahrersitz, ich hatte sie SEHR fest verschlossen :-). An jeder roten Ampel hörte ich das rascheln und sah zur Seite, die Tüte sah wirklich unheimlich aus.

Jetzt wollte Piepsi auch bald nicht mehr gefüttert werden, er wollte selbst jagen. Ich mußte die Mehlwürmer mit einem ganz bestimmten Spin in den Käfig schmeißen, sonst nahm er sie nicht. Bei 5-10 Fehlschlägen kann man sich wohl den Erfolgsdruck vorstellen, den ich da hatte pale. Die waren ja nicht tot, recht groß und schnell ...

Einer von Piepsis Flügeln hing so zur Seite herunter und ich machte mir Sorgen, ob er überhaupt würde fliegen können. Deswegen fuhr ich mit ihm zur Tierärztin, von der ich dann auch erfuhr, daß es sich bei ihm um eine Heckenbraunelle handelte, die guckte sich den Flügel an und zog ihn so auseinander. Piepsi war sehr tapfer und liess sich das ohne Murren gefallen. Ich war richtig stolz auf ihn! Der Flügel war soweit in Ordnung, doch die Tierärztin gab ihm trotzdem keine Chance, sagte zu mir, es wäre nett, wie ich mich kümmern würde, aber ich sollte mir keine Hoffnungen machen, er käme höchstwahrscheinlich nicht durch.

Aber er kam durch! :-)))

Den Tag, an dem ich ihn freiliess, werde ich niemals vergessen. Es war an einem Samstag, er war genau 2 Wochen bei uns und (das hört sich jetzt vielleicht irgendwie kitschig an) ich brachte es fast nicht übers Herz, den Käfig aufzumachen. Weil ich nicht mal wußte, ob er überhaupt fliegen kann und wie er es schaffen sollte, sich alleine Nahrung zu besorgen. Das hatte ihm ja keiner gezeigt, auch nicht wie man fliegt.

Als ich den Käfig dann auf die Wiese gestellt hatte, machte ich das Türchen auf (ich hab´ geheult wie ein Schloßhund) und er schoß wie eine Rakete heraus und flog in den höchsten Baum, der da war. So hoch, daß ich ihn kaum noch erkennen konnte. Dort oben hüpfte er von Ast zu Ast und ich stand unten mit weichen Knien, weil ich Angst hatte, er könnte runterfallen oder danebenhüpfen. Nach 2 Stunden hatte ich Genickstarre, es dämmerte auch langsam. Ich setzte mich auf die Terrasse, bis es stockfinster war, neben mir den Behälter mit den Mehlwürmern griffbereit.

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Erst 6 Tage später sah ich Piepsi wieder. Da hatte ich es schon fast aufgegeben, Ausschau nach ihm zu halten.

Ich saß wieder auf der Terrasse nachmittags und las. Da hörte ich ein Rascheln und sah einen kleinen Vogel in den Büschen und sah genauer hin und es war: PIEPSI! Und ich zum Kühlschrank, gottseidank hatte ich die Mehlwürmer extra für diesen Fall aufgehoben! "Piepsi schleppt sich mit letzter Kraft zu mir, er ist kurz vorm verhungern ...", dachte ich, wurde schon leicht panisch, als er mir dann im Garten davonhüpfte ... immer einen Busch weiter, einen nach dem anderen, eine Treppe hoch, die aus dem Garten herausführte.

Oben an der Strasse angelangt flog er auf die andere Seite und landete auf einem Ast mitten in einem riesigen, alten Kastanienbaum. Erst konnte ich ihn gar nicht richtig erkennen dort oben, er war so weit weg und neben ihm saßen auch noch andere Vögel, die ihm - ziemlich ähnlich sahen ...

Bei ganz genauem Hinsehen wußte ich es dann, wer sie waren, die anderen kleinen Vögel, die fast haargenau so aussahen wie er. Seine Geschwister! Very Happy Very Happy Very Happy
_________________
Wake up ... you´re not dreaming!
Beitrag 10.04.2007, 21:21